Fr 12.8.22 – So 4.9.22

„Serendipity: ich entdecke etwas, das ich nicht gezielt gesucht habe, und obwohl dies ohne Absicht entstand, erkenne ich hier eine eigene Qualität.“ Die Künstlerin Rosa Lachenmeier nutzte in ihrem Atelier eine Leinwand als Unterlage für ihr künstlerisches Arbeiten. Die nebenbei zurückbleibenden Spuren erwiesen sich als eigenständiges Werk. Den Malprozess hielt sie mit Videos fest und porträtierte ihn im Künstlerbuch „Serendipity“. Im Einklang mit dem Raum in der Honsellbrücke stehen zudem ihre Werke mit den Frankfurter Brücken.

Dauer der Ausstellung: 12. August bis 4. September 2022

Öffnungszeiten der Ausstellung: Di – So 13:00 – 19:00 Uhr     

 Vernissage: Fr, 12. August, 18:00 

Begrüßung: Kunstverein Familie Montez

Einführung: Prof. Dr. Viola Hildebrand-Schat (Kunstgeschichtliches Institut, Goethe-Universität Frankfurt)

Sa, 13. August
14:00:   Live Act: der Künstlerin bei der Arbeit zuschauen und ins Gespräch kommen.

So, 14. August
14:00:   Live Act: der Künstlerin bei der Arbeit zuschauen und ins Gespräch kommen.
15:00   Grußwort: Hans-Peter Willi (Stellvertretender Generalkonsul, Schweizerisches Generalkonsulat in Frankfurt a.M.)

Von Raumbezügen und den Fügungen des Zufalls

„Serendipity“ ist eine in den Wissenschaften gerne verwendete Bezeichnung für gleichsam nebenbei gemachte Erkenntnisse, vor allem aber der Titel der jüngst fertig gestellten Werke von Rosa Lachenmeier.

Mit Serendipity legt Lachenmeier die Möglichkeiten offen, die ihre Arbeitsweise bereithält und denen sie bislang nur sporadisch Aufmerksamkeit zugewandt hat. Im Zentrum stehen dabei Ausdrucksformen, die buchstäblich am Rande des gesteuerten Vorgehens und des von der Künstlerin Intendierten entstanden sind. Vorherrschend sind Spritzer, Striche und unwillkürliche Spuren, die Pinsel, Farbwalze und Sprühdose beim Arbeiten außerhalb der Bildträger hinterlassen haben. Diese Spuren bleiben auf Leinwänden zurück, die die Künstlerin auf dem Boden ausgebreitet hat und über einige Monate in ihrem Atelier liegen ließ. In den auf den Leinwänden zurückbleibenden Spuren erkennt Lachenmeier eine eigene Ausdruckskraft, die palimpsestartig Auskunft gibt über Arbeitsschritte, denn die sich im Laufe der Zeit übereinander lagernden Farbschichten erweisen sich als Zeugnisse konkreter Schaffensphasen, die in sich selbst zeitlich begrenzt, beständig von weiteren abgelöst werden. Entsprechend vergleicht die Künstlerin die so von Spuren ihres Arbeitens gezeichneten Leinwände mit einem Tagebuch, das die Erinnerung an die Konzeption und Entstehung konkreter Arbeiten birgt.

Herausgelöst aus jeglicher Gebrauchsfunktion erinnern die von Tropfen, Spritzern und Malspuren gezeichneten Arbeitsunterlagen an das Action Painting des abstrakten Expressionismus. Den Zusammenhang unterstreicht die Künstlerin durch Zeitangaben am Rande jeder ihrer Darstellungen. Doch im Gegensatz zu den auf die Spontaneität des Schaffens verweisenden kurzen Zeitspannen des Action Paintings, die beispielsweise bei K. R. H. Sonderborg oder K. O. Götz den Titel ersetzen, bezeichnen Lachenmeiers Datumsangaben Zeiträume von mehreren Monaten.

In Videoclips und einem Künstlerbuch legt die Künstlerin offen, wie die vermeintlich dem Action Painting zuzuweisenden Arbeiten tatsächlich entstanden sind. Die Aufnahmen zeigen die Künstlerin im Atelier bei der Arbeit, sie lenken den Blick auf den Boden und die ausgebreitete Unterlage, die von Zeit zu Zeit erneuert wird. So wird deutlich, dass es sich bei Lachenmeiers Werken mitnichten um Aktionsmalerei handelt, dass vielmehr jede einzelne Arbeit von einem planmäßigen Vorgehen überlagert ist und die vorgestellten Leinwände quasi ein Nebenprodukt sind. Ein scheinbar beiläufig entstandenes Produkt bleiben sie jedoch nur so lange, bis die Künstlerin die in diesen Arbeiten liegende eigene Ausdruckskraft aufdeckt. Lachenmeier spricht von Upcycling, der Aufwertung bereits gebrauchter Materialien für eine Neuschöpfung. Entgegen ihrer Reproduktion im Buch erweisen sich die aus dem Upcyceln hervorgegangenen Arbeiten Lachenmeiers als wandfüllende Großformate, die in den Raum gestellt die informellen Abstraktionen der Nachkriegszeit in Erinnerung rufen.

Über die diversen Abläufe, die in Serendipity zur Sprache kommen, lenken Videoclips und Buch zugleich den Blick auf grundlegende Prinzipien Lachenmeiers. Sie finden Niederschlag in der Malerei, in der Verwendung ungewöhnlicher Materialien wie etwa Vinylplatten und vor allem Fotografie, die immer wieder Gegenstand ihrer Künstlerbücher ist und gerade dort das volle Spektrum möglicher Abwandlungen offenbart. Dazu gehören nicht nur Verfremdungseffekte, sondern ebenso die malerische Überarbeitung. Letztere findet auch beim Künstlerbuch Serendipity Anwendung. Indem Lachenmeier die Einbände jedes einzelnen Buches nach dem Binden einer individuellen Gestaltung unterzieht, bei der sie auf die malerischen Prozesse ihrer Leinwandarbeiten zurückgreift, wird jedes Buch zu einem Unikat.

Der Begriff „Serendipität“ ist nicht ganz scharf und findet in den diversen Kontexten Einsatz. Enzyklopädische Erläuterungen fassen darunter  „eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist.“[1] Verbreitung, vor allem in Wissenschaftskontexten, erlangte der Begriff durch Robert K. Mertons (1910–2003) 1945 publizierte soziologische Studie The Travels and Adventures of Serendipity. Die Zielsetzung des Werkes erschließt sich aus dem Untertitel „A Study in Sociological Semantics and The Sociology of Science“.

Der Begriff liefert eine allgemein befriedigende Erklärung für Resultate, die jenseits jeglicher Planung aus der Suche nach Lösungen zu anderen Fragestellungen hervorgehen. Lachenmeier hat diese Erfahrung über viele Jahre am eigenen wie auch am Vorgehen anderer beobachtet. So ist ihr der Begriff auch schon seit langem vertraut und zu einem Teil ihrer Praxis geworden.

In Lachenmeiers Werken bezeichnet der Begriff die geglückte Verwertung eines Materials, das ursprünglich lediglich als Unterlage Einsatz fand, um den Fußboden zu schützen. So deckt die Künstlerin regelmäßig den Boden in ihrem Atelier mit Leinwand ab, wenn sie sich einer neuen Gestaltung zuwendet, gleich ob es sich dabei um Bildtafeln oder Bucheinbände handelt. In jedem Fall will sie sich einen Freiraum schaffen, um ungehindert mit Farbwalzen und Sprühfarben zu arbeitete. Ohne Rücksicht auf Farbspuren, die über die Arbeitsfläche hinausgehen, kann sie sich so auf den für sie wesentlichen Schaffensprozess konzentrieren. Relevant wird das unbegrenzte Arbeiten insbesondere bei quasi seriellen Abfolgen, wobei bei einem grundsätzlich kontinuierlichen Arbeiten Varianten und Variationen entwickelt werden. Die Künstlerin fasst ihr Vorgehen in Phasen zusammen, was sie mit einer Datumspanne vermerkt. So bezeichnet jedes Werk ein Datum, an dem sie die Leinwand ausrollte und ein Datum, an dem sie als abgeschlossen betrachtet wurde. Die sich im Prozess des Arbeitens ablagernden Farbspuren bilden gleichsam Zeitschichten, referiert doch jede Farbspur auf einen bestimmten Augenblick oder Zeitabschnitt. Die Farbspuren bilden die Handschrift, durch die sich tagebuchartig der Arbeitsprozess festschreibt. Die Leinwände mit den sich überlagernden Farben formieren sich also zu einer ganz besonderen Form von Tagebuchaufzeichnung. Sie rekurrieren auf den Augenblick, die Abfolge von Augenblicken und die sich in den Farbspuren abzeichnenden Emotionen. Geradezu seismographisch spiegeln die Farbverläufe die Verfasstheit der Künstlerin. Retrospektiv wiederum erweisen sich die Spuren und das Material als Erinnerungsspeicher, dem Befindlichkeiten der Künstlerin an bestimmten Tagen zu entnehmen ist.

Viola Hildebrand-Schat, Juni 2022

Rosa Lachenmeier im Arbeitsprozess, 2018

Lachenmeiers Arbeitsunterlage vom 1.1.2018 – 30.6.2018

 

In der Ausstellung sind auch Werke mit Frankfurter Brücken zu sehen. Ihr Leitmotiv bilden die zahlreichen Brücken, die in Frankfurt den Main überspannen und nicht nur architektonisch von Interesse sind, sondern auch sinnbildlich für das kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Mainmetropole stehen: Frankfurt ist eine Stadt der Vielfalt und Gegensätze.

Rosa Lachenmeier bedient sich einer von ihr entwickelten besonderen und aufwendigen Technik: Nach umfangreichen Recherchen vor Ort, hier konkret in Frankfurt am Main, fotografiert sie die verschiedenen Brücken über den Fluss. Die Fotografien überlagert sie am Computer und fügt sie kompositorisch zu einem Tableau zusammen, das sie auf die Leinwand collagiert. Anschließend beginnt sie mit den traditionellen Werkzeugen Pinsel, Rolle, Bürste und Spachtel den malerischen Prozess. Malerei und Fotografie bringt sie auf diese Weise in einen spannungsreichen, sich ergänzenden wie auch sich gegenseitig bedingenden Dialog. Erst mit dieser Malerei vertieft, erweitert und vollendet sie ihre künstlerischen Ideen, die sich im fotografischen Ausgangsmaterial angedeutet haben.

Es entstehen dynamisch komponierte, expressive wie zugleich manches Mal zarttönig-verschattete Bilder, in denen sich in Gestalt der Brückenbauwerke historische und neuzeitliche Funktionalität verbinden – hier sichtbare Konstruktion aus Mauerwerk und Stahl aus Gründerzeit und Jahrhundertwende, dort in Beton gegossener kühner Architektengeist der Moderne.

Reizvoll wie symbolträchtig die Idee, in welcher sich alles mit allem verbindet und die Brückenbilder im Einklang mit dem Raum in der Honsellbrücke stehen.

aus: Erhard Metz, FeuilletonFrankfurt vom 6. Juli 2016

Rosa Lachenmeier: Luftbrücken, 2016, Acryl, Spray und Fotografie auf Leinwand, 50 x 130 cm

Rosa Lachenmeier: Tanz der Brücken, 2016, Acryl, Spray und Fotografie auf Leinwand, 50 x 60 cm

https://www.lachenmeier.net/rosa/