7. November – 6. Dezember 2015
HALMA – Jim Avignon und 44flavours im Kunstverein Familie Montez
Gruppenausstellung
Öffnungszeiten:
Mi./Do./Fr. 15 – 18.00 Uhr
Sa./So. 14 – 19.00 Uhr und nach Vereinbarung
Vernissage:
Fr. 7. November 2015 – 17 Uhr
17:00 Uhr – Begrüssung durch Natalja Nasta
18:00 Uhr – Artisttalk mit Jana Duda
20:00 Uhr – NEOANGIN surprise (Live-Konzert)
21:00 Uhr – DJ INKASSO (suplex) & DRIVE BY (suplex)
*Eintritt Frei*
HALMA
Die Künstler Jim Avignon und 44flavours wählen für ihre gemeinsame Ausstellung im Kunstverein Familie Montez in Frankfurt das Brettspiel Halma als titelgebendes Bezugssystem.
Beim Halma werden keine Figuren geschlagen – sie stehen sich nur gegenseitig im Weg. Halmaspieler versuchen, Bahnen für möglichst lange Sprungfolgen zu erkennen und zu entwickeln. Gleichzeitig verbaut man dem Gegner solche Bahnen. Wie beim Halmaspiel haben die Künstler fast alle ihre Bilder “Zug um Zug” gemeinsam erschaffen. Sie erlebten Situationen, in denen sie sich gegenseitig künstlerisch im Weg standen, fanden Umgehungsstraßen und entwickelten letztendlich eine Synthese aus beiden Stilen. Auf den Bildern und Objekten taucht die Halmaspielfigur als gleichsam gesichtsloses aber trotzdem präsentes Wesen auf, als ein reduzierter und stilisierter Mensch, eine Art Urcharakter, der erst in der Gruppe Bedeutung erlangt, und sich durch Schwarmintelligenz behauptet. Das Halmaspiel selbst provoziert geradezu das Bild von Gruppen auf Wanderschaft, sich gegenseitig behindernd und im Weg stehend und ständig “on the run” – eine Art Analogie zur Welt von heute, in der die meisten versuchen auf die andere Seite zu kommen, wo sie das bessere Leben vermuten. In allen ausgestellten Arbeiten findet sich auf die eine oder andere Art eine Referenz zum „Prinzip Halma“.
44flavours
Seit über zehn Jahren arbeiten Julio Rölle und Sebastian Bagge als Grafiker und Künstler eng zusammen. Ihr kreativer Ursprung liegt eindeutig im Graffiti, was man nicht nur an Style und Technik ablesen kann, sondern auch an ihrer unbeschwerten Herangehensweise, einer ungebrochenen DIY-Attitüde sowie der Fähigkeit zu improvisieren und aus jedem Stück Pappe, Papier, Holz oder Stoff ein Stück Kunst zu machen. Analog ist die Devise, hier wird gesägt, geschnitten, geschraubt, gepinselt und gesprüht.
Referenzen an künstlerische Vorläufer sind nicht von der Hand zu weisen. Vor allem die Übernahme der Formensprache von Künstlern der so genannten klassischen Moderne ist sichtbar: die strichbetonten Figurationen Picassos, die Formen und Farben der Scherenschnitte von Matisse, Paul Klees grafischer Bildaufbau, ebenso wie die surrealistische Räumlichkeit der Pittura metafisica von Georgio de Chirico oder die geometrische Körperlichkeit der Kostüme, die Oskar Schlemmer für sein Triadisches Ballet entworfen hatte. Doch die 44flavours sind Künstler des 21. Jahrhunderts, und so sollten diese interpiktorialen Momente vor allem als eine augenzwinkernde Hommage an die Kunstgeschichte gelesen werden, derer sich die beiden zwar sehr wohl bewusst sind, aber die sie nicht als Leitstern ihrer künstlerischen Praxis betrachten.
Die 44flavours leben den Dialog. Nicht nur den Dialog untereinander, sondern auch die aktive Zwiesprache mit all den Zeichen und Formen der Bildwelt, die sie – die uns – umgibt, prägt, erfreut, belustigt, beeindruckt und herausfordert. Ihre Arbeit ist ein Beispiel dafür, wie man historische Referenzen mit spielerischer Leichtigkeit integriert und zugleichaktuelle, globale Phänomene respektvoll aufnimmt. [ Jana Duda]
Jim Avignon
Glaubt man der Legende, strandete Jim Avignon irgendwann in den 80ern mit kaputter Karre in Avignon, schlug sich als Straßenkünstler durch, der Dalí-Motive auf das mittelalterliche Pflaster der Stadt pinselte und so nach und nach das Geld für die Autoreparatur zusammenkratzte. Seinen Namen bescherte ihm die Bruchlandung zusätzlich – und eine Karriere, die ihn zum Maler der Technobewegung machte, der die Trucks der Loveparade gestaltete und sich irgendwann im Kommerz verlor, wie er selbst im letzten Jahr auf einer Berliner Konferenz erzählte.
Längst hat Jim Avignon wieder auf seinen Weg zurückgefunden und pfeffert der Welt der hochheiligen Kunst mit frischem Elan seine kunterbunten, ironisch-frechen und erschwinglichen Arbeiten entgegen. Er setzt einer Kunstszene, die mit ihren Debütanten, Aspiranten und Big Names sowohl bei Künstlern, Galeristen, Kuratoren als auch Sammlern den dauernden Wettbewerb um Aufmerksamkeit zur Leitstrategie erhoben hat, eine bunte Flut von schnell produzierten Arbeiten entgegen. Sie sollen ganz offen zum Nachdenken anregen und ersetzen erhabene Selbstreferenzialität durch schwarzen Humor und Selbstironie. Avignons Bilder karikieren das Kunstbetriebssystem und richten sich auch an Menschen, die von der Goldrahmen-Aura der sogenannten Hochkunst eher gelangweilt oder abgeschreckt sind. “Good Artists Go To The Museum, Bad Artists Go Everywhere”.
Seine Kunst funktioniert wie Popmusik im DIY-mode. Zur eigenen Unterhaltung produziert und im Guerilla-Verfahren unters (Club-)Volk gebracht. Markenzeichen sind leuchtende Farben, Witz, unprätentiöses Material und ein enormer Output. Wo Jim Avignon auftaucht, sorgt er für eine gewisse subversive Stimmung und eine diebische Freude am Leichtnehmen bierernster Gegenstände – was bei vielen einen Haben-Wollen-Reflex auslöst.
Seine Arbeiten sind Experimente mit den Möglichkeiten des Ephemeren, der schnelllebigen Massenproduktion, der An- und Abwesenheit des Künstlers, seiner Maskierung und De-Maskierung. Er macht Kunst unter dem Signum eines untergründigen Humors, der alle verstörenden Aspekte der gegenwärtigen Problemlagen beleuchtet. Ganz im Geiste Charlie Chaplins wird bei ihm die Schwere des Daseins durch die humoristische Behandlung gleichzeitig sichtbar und – weil wir für einen Moment darüber lachen können – auch leichter erträglich. Er ist ein unermüdlicher Philanthrop des Kunst- betriebs, der sich auch selbst nicht immer ganz Ernst nimmt: „A friendly dog in an unfriendly world“. [Almut Hüfler / Sabine Danek]